Verlagerungsnotstand: Der Alpenschutz kommt unter die Räder
Pro Alps
Beitrag teilen
Überlastete Alpen: Die Zahl der Lastwagenfahrten nimmt trotz Verlagerungsauftrag weiter zu.
Die Verlagerung des alpenquerenden Güterverkehrs auf die Schiene steht auf der Kippe: Mehr Lastwagen, weniger Bahn, steigende Belastungen für Mensch und Natur. Der heute veröffentlichte Verlagerungsbericht unterstreicht den Verlagerungsnotstand – trotzdem bleibt der Bundesrat fast tatenlos.
Der verfassungsmässige Alpenschutz wird mehr und mehr ausgehöhlt: Seit 2021 steigen die alpenquerenden Lastwagenfahrten entgegen Bundesverfassung und Gesetz wieder an. Der Bahnanteil am alpenquerenden Güterverkehr fällt von 74 auf rund 70 Prozent. Der kombinierte Verkehr verlor seit 2021 über 80’000 Sendungen, die Strasse legte um 100’000 zu. Mit dem Ende der Rollenden Landstrasse (Rola) ab Dezember 2025 verschwinden zusätzlich 70’000 verladene Fahrten von der Schiene und landen voraussichtlich Grossteils auf der Strasse. Ohne mutige Massnahmen drohen spätestens ab 2026 wieder über eine Million Lastwagen jährlich die Alpen zu queren.
Belastung für Alpenregionen steigt
Die zunehmenden Lastwagenfahrten erhöhen die Belastung für die Bevölkerung und die sensiblen Ökosysteme entlang der Alpenkorridore deutlich. In engen Tälern ist ein Lastwagen bis zu dreimal lauter als im Flachland. Schadstoffe verbleiben aufgrund der topografischen Enge länger in bodennaher Luftschicht und wirken sich stärker auf die Gesundheit aus. Entlastung ist nicht in Sicht, da der Strassenverkehr ohne neue griffige Massnahmen weiter zunehmen wird.
Es braucht mutige Massnahmen
Der Bundesrat ist gesetzlich verpflichtet, alle notwendigen Schritte zu ergreifen, damit das Verlagerungsziel von maximal 650’000 alpenquerenden Lastwagenfahrten endlich erreicht wird. Trotzdem reagiert er auf den aktuellen Verlagerungsnotstand lediglich mit wenigen punktuellen Anpassungen. Umfassende Massnahmen, die dem Ausmass der Probleme gerecht werden, fehlen. Diese Entwicklung steht im Widerspruch zu Artikel 84 der Bundesverfassung, der den Schutz des Alpenraums und die Verlagerung des Gütertransits auf die Schiene vorschreibt. Mit der am 24. Oktober 2025 eingereichten Petition erinnerte Pro Alps den Bundesrat erst kürzlich an seinen verfassungsmässigen Auftrag zum Schutz der Alpen.
Güterverlagerung wieder auf Kurs bringen
Die angespannte und kaputtgesparte Infrastrukturlage im benachbarten Ausland, insbesondere in Deutschland belastet den Schienengüterverkehr erheblich. Die teils monatelangen Totalsperrungen auf dem Nord-Süd-Korridor treffen die Verlagerung an einem besonders empfindlichen Punkt und tragen zum aktuellen Verlagerungsnotstand bei. Gerade deshalb muss die Schweiz ihre eigenen Hebel konsequent nutzen, um die negativen Auswirkungen abzufedern und den Alpenschutz zu stärken.
Politik muss Hebel in Bewegung setzen
Damit der verfassungsmässige Alpenschutz endlich Realität wird, müssen Bundesrat und Parlament folgende Hebel tätigen:
- Mehr Kostenwahrheit im Güterverkehr: Die Leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe (LSVA) ist das zentrale Instrument der Verlagerung, wirkt aber heute zu schwach. Wir fordern im Rahmen der derzeitigen Revision im Parlament die vollständige Ausschöpfung der LSVA, eine automatische Teuerungsanpassung und die rasche Integration von E-Lastwagen ins Abgabesystem.
- Griffige Kompensationsmassnahmen für das Rola-Aus: Mit dem vorzeitigen Aus der Rollenden Landstrasse (Rola) per Ende 2025 entfällt ein bewährtes Instrument der Schweizer Verlagerungspolitik. Die freiwerdenden Rola-Gelder müssen nun weiterhin vollständig in die alpenquerende Verlagerung fliessen und so die Rückverlagerung der Rola-Lastwagen auf die Strasse vermieden werden.
- Infrastrukturproblematik im Norden entschärfen: Die Schweiz muss gegenüber Deutschland den politischen Druck erhöhen und eine engere Baustellenkoordination verlangen. Zudem braucht es Ersatzkapazitäten und faire Entschädigungen für Güterbahnen bei Sperrungen und Ausfällen. In Frankreich muss der rasche Ausbau der linksrheinischen Zulaufstrecke umgesetzt werden.
- Abgeltungen für den UKV erhöhen und verlängern: Gemäss Bundesrat sollen die aktuellen Abgeltungen für den Unbegleiteten Kombinierten Verkehr (UKV) 2030 auslaufen. Dies obwohl die nördlichen Zulaufstrecken erst weit später fertig ausgebaut sein werden. Ohne Verlängerung ist es den Bahnunternehmen unmöglich, im harschen Wettbewerb mit der Strasse konkurrenzfähige Transporte anzubieten. Wir fordern daher eine rechtzeitige Verlängerung der Betriebsbeiträge über 2030 hinaus.
- Gefahrengüter über den Simplon verbieten: Der Simplon ist der einzige Alpenpass, der ganzjährig offen bleibt. Dadurch ist er besonders risikoreich für Gefahrguttransporte. Die sicherere Alternative durch den Simplontunnel ist vorhanden und sofort nutzbar. Deshalb braucht es ein Verbot für Gefahrgut auf den Alpenstrassen sowie einen beschleunigten Ausbau des Verladeangebotes.
- Stärkung der inländischen Verlagerung: Ein Lastwagen hat für die Menschen entlang der Nord-Süd-Transitlinie im Alpenraum stets dieselben negativen Auswirkungen auf Gesundheit und Lebensqualität – ob Transitverkehr oder hausgemacht. Ein Grossteil der alpenquerenden Lastwagen macht mittlerweile der Import-, Export- sowie Binnenverkehr aus. Wir fordern deshalb eine Korrektur der aktuellen Güterverkehrspolitik zugunsten eines starken, schweizweiten Schienengüterverkehrs.
Stimmen zum Verlagerungsnotstand:
Nara Valsangiacomo, Präsidentin Pro Alps: «Im Tessin ist die Belastung durch die zunehmende Lastwagenflut durch die Schweizer Alpen täglich spürbar. Die Verlagerung der Güter auf die Schienen ist das Erfolgsrezept, um, die Menschen entlang der Transitachsen zu schützen.»
Silvan Gnos, Leiter Politik Pro Alps: «Die LSVA ist das wirksamste Instrument der Verlagerung – wird aber nicht ausgeschöpft. Solange Lastwagen zu billig fahren, verliert die Schiene. Die laufende Revision im Parlament muss genutzt werden, um diesen unfairen Wettbewerb zu korrigieren.»
Emmanuel Amoos, Vorstandsmitglied Pro Alps: «Es ist widersprüchlich, dass die Schweiz im Verlagerungsnotstand steckt und gleichzeitig Gefahrgut über den Simplon rollen lässt. Die sichere Bahnverbindung durch den Tunnel steht bereit. Jetzt braucht es den politischen Entscheid, diese Transporte konsequent zu verlagern.»
Pro Alps
Beitrag teilen