Angriff auf den Alpenschutz
Der Vorschlag, die Gotthard-Passstrasse zur Stauvermeidung ganzjährig zu öffnen, untergräbt den Alpenschutzartikel und schafft neue Probleme.
Pro Alps
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Foto: Shutterstock
Die Motion von SVP-Nationalrat Benjamin Giezendanner für eine ganzjährige Öffnung der Gotthard-Passstrasse löste ein grosses mediales Echo aus. Für Pro Alps ist dieser Vorstoss verkehrs-, klima- und verfassungspolitisch höchst problematisch und schlicht absurd.
Jedes Jahr zu Ostern bietet sich am Gotthard der gleiche Anblick: Autos, Wohnwagen und Reisebusse stehen schon viele Kilometer vor dem Tunnelportal Stossstange an Stossstange. Das Verkehrsaufkommen steigt von Jahr zu Jahr. Die nun ins Spiel gebrachte ganzjährige Öffnung der Gotthard-Passstrasse ist jedoch verkehrspolitisch kurzsichtig und ineffizient, unverhältnismässig teuer und verfassungswidrig.
Eine verfassungswidrige Kapazitätssteigerung
Eine ganzjährige Öffnung der Passstrasse käme einer Kapazitätserhöhung durch die Alpen gleich. Die heutige Infrastruktur erlaubt keinen wintersicheren Betrieb. Um diesen ansatzweise zu gewährleisten, müssten neue Lawinengalerien und Teilüberdachungen aufwändig erstellt werden. Die wintersichere Passstrasse würde eine aktuell in dieser Form nicht gegebene Transitmöglichkeit schaffen und faktisch die Gesamtkapazität steigern – dabei besagt Absatz 3 von Artikel 84 der Bundesverfassung eindeutig: «Die Transitstrassen-Kapazität im Alpengebiet darf nicht erhöht werden.» Das Argument, es handle sich nicht um eine Kapazitätserhöhung, weil keine neue Strasse gebaut werde, ist etwa so, als würde ein Flughafen behaupten, er erhöhe seine Kapazität nicht, wenn er Flugzeuge neu auch in der Nacht starten und landen lässt.
Wirkungslos und kontraproduktiv
Jede neue oder erweiterte Verkehrsinfrastruktur führt kurzfristig zu Entlastung – mittelfristig aber zu mehr Verkehr. Dieses Phänomen ist unter dem Begriff «induzierter Verkehr» bekannt und wissenschaftlich belegt. Zudem würde der Vorschlag dazu führen, dass sich noch mehr Fahrzeuge abseits der A2 durch Alpentäler wälzen – nicht nur im Sommer, sondern neu auch im Winter respektive hauptsächlich über Ostern. Der Bevölkerung, die bereits unter Staus, Lärm und Abgasen leidet, ist das nicht zuzumuten.
Kosten von mindestens 300 Millionen Franken
Eine ganzjährige Befahrbarkeit würde Baumassnahmen für mindestens 300 Millionen Franken erfordern. Dabei sind der jährliche Unterhalt und die zusätzlichen Betriebskosten noch nicht berücksichtigt. Dafür, dass der Ferienverkehr zu Ostern ein wenig schneller in den Süden rollen kann, ist diese Summe unverhältnismässig hoch. Der Vorschlag entbehrt also jeglichem Augenmass in Bezug auf die Kosten und das in einer Zeit, in welcher an allen Ecken und Enden Kürzungen gefordert werden.
Den rauen alpinen Winter nicht unterschätzen
Die Schneeräumung auf über 2’000 Metern über Meer stellt eine herausfordernde und riskante Aufgabe dar. Die Schneewände sind teils meterhoch, die Sichtverhältnisse prekär – und in jedem Augenblick kann eine Lawine niedergehen. Für eine ganzjährige Befahrbarkeit müssten sich die Räumungsequipen noch viel öfter in Gefahr begeben. Wäre es das alles wirklich wert, nur um etwas früher am nächsten Nadelöhr weiter südlich stecken bleiben zu können?
Eine Motion zur Unzeit
Der Bundesrat hat die Idee eines wintersicheren Betriebs des Gotthardpasses kürzlich geprüft. Und verworfen – unter anderem mit Verweis auf das total unbefriedigende Kosten-Nutzen-Verhältnis. Im Mai folgen mehrere Kommissionvorstösse zur Beratung im Nationalrat, die auf eine Entlastung der Alpentäler vom Ausweichverkehr abzielen. Die geforderte Massnahme würde das Problem jedoch zusätzlich verschärfen, statt es zu lösen.
In den Süden mit dem Zug – fahrend statt stehend
Die Schweiz verfügt bereits mit dem Gotthard-Basistunnel über eine effiziente und umweltfreundliche Verbindung in den Süden. Um vorzubeugen, dass man im Zug beim Fahren stehen muss, setzen die SBB auch dieses Jahr rund um Ostern zahlreiche Extrazüge ein und stellen zusätzliche Sitzplätze bereit.
Pro Alps will das Problem bei der Wurzel packen
Die Motion beweist, dass der Alpenschutzartikel weiterhin verteidigt werden muss. Pro Alps ist ausdrücklich bereit, an Lösungen zur Entschärfung der Stausituation am Gotthard mitzuwirken – insbesondere, wenn es um die Reduktion des Verkehrsvolumens und eine gezielte Entlastung zu Spitzenzeiten geht. Der Schein, mit dem Vorschlag von Nationalrat Giezendanner liege endlich eine handfeste Lösung auf dem Tisch, trügt: Die politische Diskussion um Lösungen wie ein Slot Management-System oder eine dynamische Maut ist schon seit langem im Gange. In vielen europäischen Ländern sind Preissysteme für die Alpenübergänge längst Realität. Pro Alps beteiligt sich an diesen Debatten und setzt sich weiterhin auf konstruktivem Weg für ganzheitliche Lösungen ein.
Was es aber nicht braucht, sind teure, verfassungswidrige und letztlich wenig wirksame Massnahmen.
Pro Alps
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